Dirk Schröder {biografie}

Das Internet bringt uns nirgendwo hin

Telekommunikationsmedien überwinden den Raum. Das schnelle Wort fragt nicht mehr nach Küsten und Wegen: es ist da, wenn es abgeschickt wurde. Der Raum zwischen den Menschen verschwindet in der Geschwindigkeit. Die, heißt es, sein keine Hexerei - und doch wirkt sie so, sie hext den Raum weg. Die Sprache aber zaubert dagegen: nichts wird unversucht gelassen, den globalen Dokumententausch in Begriffen des Raumes zu erfassen. Man "ist im Chat", pflegt eine Homepage "im Web" usw. Das stimmt alles nicht - und wenn solches stattfindet, stehen dem Betrug und der Selbsttäuschung alle Pforten offen.

Zwei Fragen scheinen bislang ungeklärt:

1.) Wie kann die Täuschung gelingen?

2.) Welchen Zweck erfüllt sie?

Bei einer kleinen Reise "durch das Web" soll ihnen nachgespürt und zugleich versucht werden, dem Internet-Slang des Raumes, eine Sprache der Zeit entgegenzustellen.

Zu 1.

M-Commerce, so predigen die Kommerzies, sein nun "in", E-Commerce "out". "Wer shoppt noch im Web", meint das wohl, "lasst uns per Handy shoppen." Sind wir bald nicht nur im Internet, sondern auch im Telefon? "Ich bin im Telefon" - kaum einer brächte das heute über die Lippen - aber morgen?

Das Wörtchen "Cyberspace" meinte mitnichten das Internet - und doch wird es dafür häufig gebraucht. Dieser Gebrauch soll ein wenig zerpflückt und in Gestalt eines Schichtenmodells der Netzkommunikation wieder zusammen gesetzt werden. Das Modell wird Kommunikations-, Dokumentations- und Wartungsschichten unterscheiden und vielleicht ein besseres Verständnis dessen geben, was der Begriff "Internet" in dem Satz "Ich bin im Internet" meint.

Was aber sagt "Ich"? Es geht um Identität und Nebenidentitäten, Rollen und Rollenspiele - vor allem aber um Zeit, um die Selbstbestimmung des Individuums im Bild der Regentschaft im Zeitreich - und um dessen Aufhebung am Beispiel des Science fiction-Sujets der Zeitreise.

"Bin" hingegen meint gar kein Sein, sondern eine Tätigkeit, genauer: fünf davon. Die Untätigkeit, den Konsum, das Verknüpfen, das Gestalten und das Gespräch. Beschreibend, was wir tun, reduzieren wir die Orte der Handlung auf das, was sie sind: Adressen. Geben wir ihnen Bedeutung erst durch unser Tun, so heben wir das "Im", diese vermeintliche Bestimmung des Handlungsraums, in Zeitbegriffen auf: wann?

Zu 2.

"Dabei sein ist alles", wir kennen das. Aber auch: "Im Verein ist Sport am schönsten:" Das soll ein wenig hinterfragt werden. Identität des Einsamen ist so wenig vorstellbar, wie ein Spruch als Antwort auf das Koan-Paradox des Tons der einen Hand. Die Konstruktion des Zeitreiches zu Punkt 1 muss wieder aufgehoben werden, zugunsten von Ensembles gemütlicher Winkel. Nirgends wird der Ort der Community des Web sichtbarer als im Museum: Zeiten verortet. Gerade die Nähe zum Kern der Netzillusionen macht es den Kuratoren schwer, die behauptete Dauer des Museums mit der mutmaßlichen Flüchtigkeit von Web & Co. zu vereinbaren. Ohne Absprache gelingt das aber den "Netizen", auf der Basis oft beschworener, aber meist unreflektierte Konventionen, die nur über eines wirklich Auskunft geben: die Motivationslage des nicht-professionellen Internet-Nutzers. Ich nenne dies: die Sehnsucht nach Orten. Die heißen aber nicht "da", sondern: "wir". 

Wesentlich unterscheidet sich die Nutzung des Internet als Kommunikationsmedium nicht von der Nutzung des Telefons und die des Netzes als Dokumentationsmaschine nicht von der einer Bibliothek. Die unterscheidenden Begriffe beschwören Zählungen. Qualitative Aussagen aber betreffen die Netzzeit. Das ist dem "User" egal. Er fühlt sich geborgen - und wo er es nicht tut ("lost in Cyberspace") nimmt er das Internet im Ganzen als Karte. Es ist eine Karte, der kein Territorium mehr zugrunde liegt. Das Einzeichnen eines Gebäudes erschafft dieses. So störend der Verweis auf die Zeitreisen anfänglich war - nun hilft er - als Eselsbrücke - die Karte als Zeitkarte zu lesen. Der Kreis schließt sich. Damit ist das Ende des Internet-Hype erreicht. Arbeitszeit und Freizeit trennen sich und der Raum des "globalen Dorfes" wandelt sich zur Stechuhr. Die steht an der Grenze zum Park.

 Es soll eine vergnügliche Reise werden: ein Stöbern im Web und im Gehirn. Wir werden im Einen das Andere wiederfinden. Und die Uhr als Navigationsinstrument kennen lernen. Wir werden nörgelnden, zu kurz gekommenen Freunden begegnen und einer Kunst, die meint, den Tod überdauern zu können, wir treffen Gebührenzähler und Downloadbeschleuniger, künstliche Kalender und knallhartes Marketing. Am Ende wird die Rechnung präsentiert: sekundengenau.

Drei Links vorab:

etoy.TIMEZONE (Messlatte)

Bevölkerungsstatistik kurz (Unverteilte Zeit)

Seti@Home (Verteilte Zeit)