Inter(-Text, -Aktion, -Net) 
  Kollaborative Text- und Theorieproduktion in digitalen Diskursen 
"Man wird vielleicht einmal in Massen scheiben, denken und handeln" (Novalis)
"Die Poesie muß von allen gemacht werden! 
  Die Urteile über die Poesie haben mehr Wert als die Poesie selbst. Sie 
  sind die Philosophie der Poesie. 
  Das Plagiat ist notwendig. der Fortschritt schließt es ein. Es folgt eng 
  dem Satz eines Autors, bedient sich seiner Ausdrücke, tilgt eine falsche 
  Idee, ersetzt sie durch eine richtige Idee. Die Poesie muß die praktische 
  Wahrheit als Ziel haben. Ein Dichter muß nützlicher sein als irgendein 
  anderer Bürger seiner Sippe. 
  Es gibt nichts Unverständliches. 
  Die Verzweiflung führt den Literaten unerschütterlich zur massenhaften 
  Abschaffung der göttlichen und gesellschaftlichen Gesetze und zu rhetorischen 
  und praktischen Bosheit. 
  Ich werde keine Memoiren hinterlassen. 
  Es gibt eine wenig stillschweigende Übereinkunft zwischen dem Autor und 
  dem Leser gemäß der der erstere sich als Kranker bezeichnet und den 
  zweiten als Krankenwärter akzeptiert. Es ist der Dichter, der die Menschheit 
  tröstet. Die Rollen werden willkürlich vertauscht. 
  Von den Worten zu den Gedanken ist es nur ein Schritt ... Jetzt Musik!" 
  
  (Isidore Ducasse alias Lautreamont, Poesie, Hamburg 1979, OT Paris 1870) 
Als Weiterentwicklung virtuell-konzeptueller kollaborativer Texte und früher Medienkunst-Projekte, die eine imaginäre Interaktion mit LeserInnen und ZuschauerInnen propagieren, verlangen kollaborative Projekte im Netz tatsächlich den Input und die Manipulation von Daten seitens der UserInnen. Das Einschleusen ausführbarer Programme, Schreibrechte für anonyme User auf Datenbanken und das Aufknacken der zunächst noch an der Buchkultur orientierten Interfaces von Browsern und Netzseiten hin zu aktions- und objektorientierten - von den Usern konfigurierbaren und alltäglich 'benutzbaren' - Interfaces schafft jetzt auf breiter Basis - zumindest technologisch - Möglichkeiten netzwerkunterstützter Zusammenarbeit, die bisher nur avantgardistischen 'Autoren' oder avancierten Netzkunstprojekten vorbehalten war.
Der epistomologische Bruch, der sich angesichts digitaler Interaktionsformen 
  mit Texten, Bildern und Tönen in den kulturellen Wissenssystemen vollzieht, 
  liegt weniger in diesen Interaktionsformen (cut/copy/paste/link) selbst begründet, 
  (denn Texte wurden und werden (historisch) schon immer traktiert, umgeschrieben, 
  zerschnitten ... und wieder neu zusammengeklebt mittels der jeweiligen medialen 
  Aufschreibesystemen), als vielmehr in den Ausformungen dieser Interaktionsformen, 
  d. h. in der Art und Weise wie sie sich im Netzwerk digitaler Diskurse vollziehen, 
  im Werkzeugcharakter und der freien Gestaltbarkeit und Verfügbarkeit.
  Der Unterschied zwischen Schreiben und Lesen, genauer gesagt zwischen den Akten 
  des Schreibens und Lesens in digitalen Umgebungen ist zunächst einmal medial 
  aufgehoben: Wir können im Netz direkt auf jede Seite schreiben, ohne irgendwelche 
  Werkzeuge wie Schere, Bleistift, Druckerpresse hinzuziehen zu müssen, weil 
  eben genau diese Werkzeuge als Tools und Programme, als Client Plug-Ins oder 
  als Server-Programme in derselben Medienkonfiguration ausführbar sind, 
  die auch für das Anzeigen der Seite verantwortlich sind. 
  Es vollzieht sich also nicht nur die Begegnung des Regensschirms mit der Nähmaschine 
  auf dem Bildschirm der Worte, sondern es handelt sich um ein Verschalten der 
  (virtuellen) Lesemaschinen und anderer konzeptueller Aufforderungen zur Mitarbeit 
  der LeserInnen mit den Schreibmaschinen, Druckerpressen und Aufschreibesystemen. 
  
  Der vom Dekonstruktivismus endlos durchkonjugierte Bruch, daß alle Texte 
  aus anderen Texten zusammengschnitten sind, daß in jedem Buch ein weiteres 
  steckt, das heraus will, daß die Texte nicht bei den Lesern ankommen, 
  sondern sich als aktive Rezeptionsprozesse genau um die Leerstellen der Texte, 
  Bücher und Diskurse herum vollziehen, ist jetzt in den digitalen Diskursen 
  universell in den Code selbst eingeschrieben: 
  Crossreadings auf Serverebene (zb. im "CaterCapillar::Network") 
  ermöglicht eine automatische Indizierung und Verknüpfung von Dateien 
  auf verschiedenen Servern, eine Art Fortsetzung des Assoziationsblasters auf 
  der Ebene der Netztopologien), universelle Annotiationstools (wie "Third 
  Voice"), an Suchmaschinen gekoppelte Assoziations-Sprachspiele (http://www.assoziations-blaster.de/), 
  Cut-up Maschinen zwischen online-Zeitschriften, postmoderne Thesis-Generatoren, 
  Sonettmaschinen, Mailinglisten, Diskussions-Boards, MUDS, gemeinschaftlich erstellte 
  und geflegte Datenbanken, kollaborative Text-Filterprozesse (http://www.nettime.org)... 
  
  ... feiern auf verschiedenen Levels einen interkulturellen Textbegriff, der 
  offen Textverarbeitungen aus literarischen Experimenten und ästhetisch-sozialen 
  Aufbruchsbewegungen (Surrealisten, Situationisten) als allgemeine Nutzerparadigmen 
  wiederauferstehen läßt. 
  Die in der Literaturgeschichte vielfach wiederaufgenommene Parole Lautreamonts: 
  "Die Poesie soll von allem gemacht werden, nicht von einem", hallt 
  jetzt als vielfach gebrochenes Echo aus den Untiefen des Netzes wieder: 
Der Text wird zu einer Oberfläche, zu einer Schnittstelle für die 
  Begegnung von Leser und Schreiber, Urheber und Nutzer, Sender und Empfänger 
  ... 
  Ob solche Versuche wirklich längerfristig und nachhaltig neue Diskursformen 
  herausbilden helfen, vielleicht sogar die von Hypertext-Theoretikern immer wieder 
  geforderte (und von den Programmentwicklern bisher nie eingelöste ...) 
  Hybridisierung zwischen Form und Inhalt, Text und Kontext, Produktion und Rezeption, 
  zwischen Autorfiktionen und Leserimaginationen ... zu bearbeiten und managen 
  helfen - wird die Zukunft gezeigt haben werden. 
  Hören wir endlich auf, zu lesen und zu schreiben und die Geschichte immer 
  wieder zu wiederholen, und fangen wir endlich an, gemeinsam zu Schreib/Lesern 
  zu werden, d. h. unsere kulturellen, mentalen, diskursiven ... Wissenssysteme 
  zu verknüpfen, unsere Lieblingsstellen und Lektüre-Momente, Lesezeichen, 
  Randbemerkungen, Fußnoten ... auszutauschen und das Internet als einen 
  interkulturellen intertextuellen Diskursraum zu benutzen. 
  Nicht das Taschenbuch, eine mailinglist, Hypertext, ebook oder verteilte Annotationssysteme 
  sind revolutionär, sondern der Gebrauch, den wir davon machen!